Happy-End
Happy-End ist eine Bearbeitung fremder Home movies aus den 60er und 70er Jahren. Die gewählten Ausschnitte aus vielen Stunden inszenierten Privatlebens von Rudolf und Elfriede kreisen um demonstratives Feiern, Alkoholtrinken, Tortenessen zu zweit.
Wer hat den beiden zugesehen, bevor Peter Tscherkasskys und dann unser Blick auf ihren Frohsinn fiel? Wer stand hinter der Kamera? Ich denke, daß die Theorie ins Leere geht, die meint, es wären sie selbst gewesen (in Erwartung ihres eigenen Zuschauerblicks: Schau, das war so schön!). Auch eine versteckte Kamera ist es nicht, denn Rudolf und Elfriede wenden sich lachend, trinkend, gestikulierend ständig ihr zu. Es muß das Kind sein, ihr Kind, das nie selbst ins Bild kommt, sondern nur in Form einer symbolischen Puppe und wiederkehrender Spiegeln sein Tun annonciert. Ich glaube, daß sich Rudolf und Elfriede im Sommer 1952 ineinander verliebten, als Annie Cordys Schlager aus allen Lautsprechern klang: Bonbons, Caramels, Esquimaux, Chocolats. 1958 kam ihr Sohn auf die Welt, kurz darauf wurde die erste Filmkamera erworben. Anfang der 70er Jahre übernahm der Sohn die Regie bei den alljährlichen Festtagsfilmen, und er erhaschte im Bild auch die sexuelle Freude, die sich zwischen Sekt und Sachertorte leise regt.
Zwanzig Jahre später sieht das Kind, nun ein erwachsener Mann, diese Fundstücke wieder. Zu seiner Überraschung sind sie ihm keineswegs peinlich. Er versteht, wie ihn die Home movies damals zum Avantgardefilm führten: Die Einzel-bild-Tricks und die vielen technisch bedingten Hupfer, Lichtblitze, Wischer sprengten die Kinoillusion ebenso wie die Funktion dieser Filme: Aufbewahrung von Privatheit, Wünschen, vorbeiziehendem Leben Paradise Not Yet Lost. Er kramt weiter im Nachlaß und greift ältere, handkamerabewegte Bilder von Rudolf und Elfriede heraus, die vor seiner Zeit entstanden sein müssen. Er überschattet mit ihnen die eigenen Bilder der Eltern und schreibt ihre Geschichte rückwärts voran, zurück in eine vor-sprachliche Welt der Geheimnisse. Die ganze Last der mühsam erworbenen Film- und Familien-theorie fällt von ihm ab, der Wirbel von Bildern und Empfindungen wird ihm zu einem ewigen Requiem für seine Eltern und zu einer Hommage an die Mutter, wie sie sich immer langsamer im Kreis dreht und lacht wie eine alte Jazzsängerin. So handelt er gegen den Schmerz der Erkenntnis, daß er zu Lebzeiten von Rudolf und Elfriede diese Nähe nicht auszudrücken vermochte. Welch ein trauriges, glückliches Ende!
(Alexander Horwath)