31/75 Asyl

Eine Wiese, ein See, eine Hügelsilhouette, Bäume, im Saarland. 21 Tage lang derselbe Blick. 21 Tage lang fünf andere Löcher in einer Maske vor einer Kamera, die insgesamt am Ende ein ganzes Panorama freigeben. Eine Landschaft verändert sich mit dem Fortschreiten der Jahresläufe und beginnt in der technischen Verfremdung sanft zu delirieren. Eigenartige 3D-Effekte entstehen, so als würde die Leinwand zu einer Art Setzkasten, in dem Elemente einer bewegten Fotografie ausgetauscht werden können. "In manchen Ausschnitten regnet es, in anderen scheint die Sonne, in anderen ist Schnee. " (So der "Stadtmensch" Kren zu Hans Scheugl in einem Interview. "Es war das erste Mal, daß ich am Land gelebt habe und vielleicht nicht ganz so glücklich war, auf dem Land zu leben.") Wie später in 33/77: Keine Donau, 37/78: Tree again oder den späteren Reisefilmen in Amerika gelingt es dem Filmemacher hier, mit einer Darstellung von Natur, Zeit, Raum eine leise, schleichende, schizophrene Distanz zu einer scheinbar stillstehenden Welt in motion zu vermitteln. Eine Liebe, auch zum Dasein vor dem Objektiv zu vermitteln, als wäre diese Landschaft wirklich eine Zuflucht, auch vor den Enttäuschungen, die in anderen Arbeiten Krens mit demselben unverstellten Blick wahrgenommen werden. "Lyrisch" ist für diese Komposition das falsche Adjektiv. "Bescheiden" ist sie, ohne Stolz auf den großen (Zeit-)Aufwand, der für sie betrieben werden mußte, "leicht", ohne Leichtfertigkeiten. Ein Meisterwerk.
(Claus Philipp)

Weitere Texte

Michael Palm zu 31/75 Asyl von Kurt Kren

Wir haben es hier mit einem "maschinellen Arrangement" des Bewegungsbildes zu tun, einem Bild, das sich erst über eine apparative Anordnung entfalten kann, erst dann ins Bewußtsein tritt und der Wahrnehmung des Realen durch das menschliche Auge diametral entgegensteht.

In Asyl befestigt Kren verschiedene Lochmasken vor der Optik, die übereinandergelegt das ganze Bildfeld freigeben. Kren läßt den Film zu verschiedenen Zeiten mehrmals durch die Kamera laufen, wobei die Masken nach einem bestimmten Schema ausgetauscht werden. Die Lochmaskentechnik, das additive bzw. subtraktive Auftragen von Bildpunkten während des mehrfachen Durchlaufs der Filmrolle erinnert dabei schon eher an den Rechenvorgang eines Computers, der nach einem einfachen Algorithmus für die ständige Permutaion der Masken (oder soll man sagen: Lochkarten) sorgt. Auf jeden Fall ist es zunächst einmal der Raster, der mich beschäftigt. Er zerteilt das Bildfeld in viele "molekulare", gleichberechtigte Punkte, die in ihrer ständig wechselnden Konstellation ein immer wieder neues Bild ergeben. Man kann also nicht einfach sagen: Der Film zeigt eine idyllische Waldlichtung, einen Weg, ein Gatter im Herbst. Man muß sagen: Im Augenblick sehe ich links unten Schnee liegen, während rechts auf halber Höhe noch (oder: noch immer; oder: schon wieder) Laub liegt, und da und dort geht einmal ein Menschlein, um im nächsten Rasterloch wieder zu verschwinden.

Während der Vorgang der seriellen Rasterung und Bildsynthese schon mehr an digitale Bildtechniken gemahnt, fragt man sich immer noch nach einem analogen, empirischen Ab-Bild. Doch die Synthetisierung zum Ganzen findet nicht statt, die Landschaft als idyllisches Refugium bleibt virtuell, weit entfernt, und gerade darin liegt das Drama des Sehens in Asyl. Man kann niemals ganz dorthin kommen (nein halt: Ab und zu kann es sich Kurt Kren, der Spieler, nicht verkneifen, kurz ein kohärentes Bild der pastoralen Szenerie aufblitzen zu lassen). Eine derart radikale Fraktionierung des Bildes in seine molekularen Bestandteile und die differierenden zeitlichen Zusammenhänge (Multitemporalität) führen schließlich zur ständigen Neu-Konstruktion des Bildes und verhindern die Rekonstruktion eines repräsentativen Bildes ebenso wie die Festsetzung von Identität.

Wenn man davon ausgeht, daß Krens Filme insofern experimentell sind, als sie eine befremdliche, zerstreute Physik der Zeit erschaffen, ist Asyl ein Laboratorium der Wahrnehmung: Der Film bringt ein fragiles, unmittelbar genetisches Bild hervor, ein Bild der Wahrnehmung in actu. "When we realize that these images make up one landscape, we become aware of the multiplicity of circumstances involved in perception. We realize we can never really know this pastoral scene, which we can only partially see. As we become aware of the multiplicity of what is perceived, we become aware that we must actively look, if we are to see."

(Michael Palm: Which Way?, Drei Pfade durchs Bild-Gebüsch von Kurt Kren, in: Hans Scheugl (Hrsg.), Ex Underground Kurt Kren. Seine Filme, Wien 1996)

Birgit Hein & Wulf Herzogenrath zu 31/75 Asyl von Kurt Kren

Die Kamera mit Sonnenschutzkompendium steht vor einem Fenster auf einem festen Stativ. An 21 aufeinanderfolgenden Tagen wird von diesem Punkt aus der Blick nach draußen gefilmt. Dieselben 3 Rollen Farbfilm (insg. 90 Meter) werden hintereinander jeden Tag durch eine andere Maske aufgenommen. Jede der 21 Masken aus schwarzer Pappe hat 4 oder 5 rechteckige Öffnungen. Alle Öffnungen der Masken zusammen geben das ganze Bild frei.

In jedem Durchgang (1 Tag) wird eine Maske nicht voll eingesetzt, sondern ab und zu wird auch die Blende ganz geschlossen. Dieser Wechsel ist in jedem Durchgang anders. So wird z.B. am ersten Tag durch die Maske von 1-21 Meter gefilmt, dann wird die Blende bis 28 Meter geschlossen, dann wieder von 29-42 Meter durch eine Maske gefilmt usw., von 71-90 Meter bleibt die Blende geschlossen. Im 14. Durchgang dagegen wird die Blende erst ab 20 Meter geöffnet, entsprechend verschiebt sich der Wechsel von Maske und geschlossener Blende. Das Bild verändert sich so ständig. Zeitweilig sind jeweils nur Teile der Filmschicht belichtet, andere bleiben dunkel. Bei 21 Meter ist zum ersten Mal das ganze Bild, zusammengesetzt aus allen Öffnungen aller Masken, zu sehen. Gegen Ende des Films wird einmal das unmanipulierte (ohne Masken gefilmte) reale Bild kurz gezeigt.

Da das Wetter während der Aufnahmezeit (März/April) sehr stark wechselte, zeigt das Bild unterschiedliche Helligkeiten, an einigen Stellen liegt Schnee. Die Veränderung einer Landschaft innerhalb von 21 Tagen wird hier gleichzeitig in einem statischen Bild erfaßt. Durch den Wechsel der Masken entsteht zwar Bewegung, dieser ist aber nicht als zielgerichteter Zeitablauf faßbar.

Orig. Titel
31/75 Asyl
Jahr
1975
Land
Österreich
Länge
8 min 26 sek
Regie
Kurt Kren
Kategorie
Avantgarde/Kunst
Orig. Sprache
Kein Dialog
Downloads
31/75 Asyl (Bild)
31/75 Asyl (Bild)
31/75 Asyl (Bild)
Credits
Regie
Kurt Kren
Verfügbare Formate
16 mm (Originalformat)
Bildformat
1:1,37
Tonformat
Stumm
Bildfrequenz
24 fps
DCP 2K flat (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,37
Tonformat
Stumm
Bildfrequenz
24 fps
Farbformat
Farbe
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)