Mécanomagie
Eine Landschaft ist verändert. Alles in ihr unterliegt einem anderen Rhythmus, alles bewegt sich überschnell, verändert sich in hohen Geschwindigkeiten. In der Landschaft erscheint eine Art Mensch. Dieser bewegt sich körperlich ganz und gar nicht und ist dennoch als Ganzer bewegt. Eine beinahe schwebende, ohne sichtbare Krafteinwirkung vollzogene, gleitende Bewegung führt ihn über Landstraßen, durch Wälder und Dörfer. Beide zusammen, Natur und der Eine, entwerfen in ihrer gemeinsamen und aufeinander bezogenen Andersartigkeit eine Art Parallelwelt. Diese "magische" Welt zeigt uns der Film. Für die normalen Menschen im Film ist diese Welt unsichtbar, sie ist einfach zu schnell - wie eine Schlüsselszene zeigt. Man spürt sie allenthalben, aber ihr Rhythmus überfordert die gewöhnliche Wahrnehmung, sie fällt aus der Wahrnehmbarkeit heraus. Dennoch scheint der Eine, der unbewegte Beweger, auf seinem Weg zu ungewöhnlichen Ereignissen in Beziehung zu stehen, die bestimmten Menschen und Dingen in der normalen Welt zustoßen: Erde, die sich in Samen, die sich in Buchstaben, die sich in Käfer transformieren, Steine mit organischem Inneren, Kinder oder Worte, die aus der Erde wachsen... Es ist, als ob die eine, unsichtbare Welt sich mit der diesseitigen Welt verständigt, das Hyperreale in die gewöhnliche Welt eindringt. Die Bewegung als abweichende stiftet Veränderung. Sie surrealisiert das Banale, macht das Heimatliche unheimlich. Der Film unterhält zu beiden Welten Beziehungen, ermöglicht uns ein doppeltes Sehen. Und seine Verführungskraft liegt wesentlich in der Unentscheidbarkeit dessen, was er ermöglicht - sein "abweichendes" Aufnahmeverfahren - und was außerhalb dessen noch möglich ist. (Marc Ries) Eine Landschaft, in der alles in Bewegung ist, heimgesucht von einer Figur, die - selbst unbeweglich - sich bewegt: der zur Maschine gewordene Mensch? In Mécanomagie werden Wahrnehmungsgrenzen und (Natur-)Gesetze durchbrochen, um neue zu schaffen: die Natur im grenzenlosen Rauschzustand! (Peter Illetschko) Ein subversiver, unheimlicher Heimatfilm, in dem Käfer aus dem angeschnittenen Guglhupf kriechen und auch sonst das Surreale, Abgründige im (nur) auf den ersten Blick Alltäglichen lauert. Der Titel ist geradezu programmatisch für das Kino von Bady Minck: filmische Mechaniken (Einzelbild-Animation wie bei Svankmajer, Zeitlupe, Zeitraffer) werden von ihr so raffiniert eingesetzt, dass es geradezu magisch anmutet. Das Gedachte wird manifest und die Traumbilder gewinnen Oberhand über das “Natürliche”. (Christoph Huber, Die Presse, Wien April 2004) Durch die Landschaft der Ardennen im nördlichen Luxemburg schlägt Mécanomagie einen stilvollen und performativen Weg ein. Die “live action” Pixillationstechnik evoziert ein geerdetes bäuerliches Bewusstsein von Naturgewalten und den volkstümlichen Mythen der Humanoiden, die unbemerkt durchs Land reisen. Nebenbei enthüllt die erfinderische Darstellung solche Wunder wie das anthropomorphe Wesen von Steinen, Kinder, die aus der Erde wachsen, oder ein geheimnisvolles blutiges Käferbuch. Der Erfolg des Films liegt in der eleganten Verknüpfung von magischer, neo-surrealistischer Jenseitigkeit und fundamentaler Erdverbundenheit. (Stephen Ball, International Melbourne Film Festival 1997) Das Ruhende in Bewegung: eine Landschaft, in der Gräser und Sträucher in seltsamer Unruhe erzittern, aus deren Böden Buchstaben wachsen; leere Buchseiten, auf denen sich Erde in Samen, Samen in Buchstaben, Buchstaben in Käfer verwandeln… So füllt sich das Vertraute, Alltägliche mit Zeichen. Zeichen, die sich dem unmittelbaren Verständnis nicht erschliessen, aber im geheimen Einverständnis mit den Menschen und Dingen zu wirken scheinen. Bady Minck zeichnet in Mécanomagie eine Welt, die durch das Unsichtbare, die Räume hinter dem Raum animiert ist. In dieser Welt bedingt das Surreale, das Mystische und Magische, das Wesen des sogenannten “Realen”: der täglichen Arbeit, des Gebets, des Feierns. Durch tricktechnisch angekurbelte, überraschende Transformationen “natürlicher” Erscheinungen intensiviert Bady Minck eine Wahrnehmung, die gewissermassen ins Jenseits des gewöhnlich Wahrnehmbaren zielt. In ein Jenseits, das das lebensweltlich Herkömmliche begründet, ohne es zu erklären – und den Schein der “Natürlichkeit” dieses Lebensweltlichen in die irritierend faszinierende Logik von Traumbildern überführt. (Robert Buchschwenter, “Ruhestörung erwünscht”, Wien April 1999) --> www.badyminck.com
Mécanomagie
1996
Luxembourg, Österreich
15 min