Hier und Anderswo – Nachdenken über Israel–Palästina im Essayfilm

Do 13. März 2025 - Sa 15. März 2025 21:00
Österreichisches Filmmuseum

Der israelisch-palästinensische Konflikt, der seit dem grausamen Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 und mit dem darauffolgenden Krieg in Gaza mit maßlosem Leid für die palästinensische Zivilbevölkerung eine tragische Klimax erlebt, war von Beginn an auch ein Krieg der Bilder. Seit Generationen besetzt das Nahostproblem seinen Platz in der globalen medialen Arena als affektiv hoch aufgeladenes komplexes Wahrnehmungsobjekt.
 
In seinem 2021 erschienen Buch Hier und Anderswo. Palästina– Israel im essayistischen Film (1960–2010) beschäftigt sich Peter Grabher mit der Frage: Was vermag in dieser Situation der Essayfilm? Wie haben Filmer*innen der Avantgarde seine subjektiven, transgressiven, konstruktivistischen und hybriden Strategien auf den Nahen Osten angewandt? Wie reagieren ihre Werke auf hegemoniale mediale Darstellungen? Welches Potenzial besitzt das essayistische Kino angesichts traumatisierender Wirklichkeiten, Räume des Nachdenkens, des Dialogs und einer Politik der Freundschaft offen zu halten?
 
Das Programm zeigt eine kleine Auswahl von essayistischen Schlüsselwerken zum Kontext Israel–Palästina, die in Grabhers Buch detailliert analysiert werden. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern will Gelegenheiten zur Reflexion schaffen. Ausgehend von Chris Markers emblematischer Beschreibung eines Kampfes aus dem Jahr 1960 lädt es dazu ein, Filme von französisch-schweizerischen (Godard/Miéville), israelischen (Geva, Aloni) und palästinensischen (Tabari, Yagchi) Filmemacher*innen (wieder) zu sehen, die alle auf ganz individuelle Weise in einem Moment der Krise versuchten, das Kino in einen Modus des Denkens zu verwandeln. (Peter Grabher, Gerald Weber)

Programm

Donnerstag, 13.3..2025 / 18:00

Buchpräsentation: Peter Grabher: Hier und Anderswo Palästina-Israel im essayistischen Film (1960-2010), Schüren, 2021

Beschreibung eines Kampfes (Description d’un combat)
Chris Marker, FR/ISR 1960, 54 min

1960 montiert Chris Marker aus disparaten Beobachtungen, die er mit 16mm-Kamera und Synchronton zwischen Eilat und dem Golan einfängt, ein essayistisches Porträt des jungen Staates Israel zwischen Sozialismus, Konsumismus und religiöser Tradition. Sein Kommentar liest das Sichtbare nicht als dokumentarische Wahrheit, sondern als Zeichenlandschaft, aus der es mögliche Zukünfte zu entziffern gilt. Marker folgt dabei Alexandre Astruc, dem Erfinder des Caméra-Stylo, der im Gründungsjahr Israels die Aufgabe des Kinos benannte: "Im Film, wie anderswo, gibt es keine andere Sorge als die um die Zukunft." Aber Zeichen sind von einer eigentümlichen Zeitlichkeit: Der Juni-Krieg verwischte das Kraftfeld, welches in der "Beschreibung eines Kampfes" kartographiert worden war und der zunächst als Beispiel für ein neues, denkendes Kino gepriesene Film verschwand ab 1967 aus der Öffentlichkeit. (PG)

Donnerstag, 13.3.2025 / 20:30

Description of a Memory (Tza’ad Revi’I La’matbe’a)
Dan Geva, ISR 2006, 80 min

Dan Gevas "Description of a Memory" tritt in einen Dialog mit dem Film Markers. Dessen Bilder und Töne ließen Geva nicht los, seit er ihn zum ersten Mal als 12-Jähriger sah. Nun werden sie zum Katalysator für die essayistischen Suche nach "insignifikanten Details" in einer dystopisch wirkenden Gegenwart: die Vereidigung von IDF-Soldaten an der Klagemauer, die Räumung von national-religiösen jüdischen Siedlungen in Gaza, die Enteignung palästinensischer Olivenhaine in der Westbank, "Occupation Tourism"... Die Recherche nach den Protagonist:innen aus "Beschreibung eines Kampfes" zeigt, dass deren Hoffnungen uneingelöst blieben. Der innere Kampf scheint entschieden, im Film Markers ist eine unrealisierte Zukunft eingeschlossen. Dieser erwies dem israelischen Regisseur seinen Dank: "I guess 'Description of a Memory' is the best thing that ever happened to me as a filmmaker." (PG)

In Anwesenheit und mit Gespräch mit Dan Geva nach dem Film

Freitag, 14.3.2025 / 18:00

Hier und anderswo (Ici et ailleurs)
Jean Luc Godard & Anne-Marie Miéville, FR 1976, 53 min

In diesem paradigmatischen Essayfilm kollidieren Bilder aus einem palästinensischen „Anderswo“ mit jenen eines französischen „Hier“. Die Produktion des 1969 zunächst als Agit-Prop-Werk in Auftrag gegebenen Filmes endete nach dem Tod seiner palästinensischen Protagonisten im "Schwarzen September" 1970. Jahre später werfen Jean-Luc Godard und Anne-Marie Miéville in "Hier und anderswo" einen zweiten Blick auf ihr Filmmaterial und demontieren am Videoschnittplatz die Prämissen des militanten Kinos. Das Engagement für die „palästinensische Sache“ und den bewaffneten Kampf der Fatah tritt in den Hintergrund, die Medialität der spätkapitalistischen Gesellschaft als Apriori jeder Wahrnehmung rückt ins Zentrum: "Es gibt keine einfachen Bilder mehr, nur einfache Leute, die man zwingen wird, ruhig zu bleiben wie ein Bild", heißt es im Kommentar einmal. (PG)

Freitag, 14.3.2025 / 20:30

Local Angel – Theological-Political Fragments (Mala’ch Mekomi)
Udi Aloni, USA/ISR 2002, 70 min

Der Engel der Geschichte: Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe. Der in New York lebende Filmemacher Udi Aloni kehrt nach der 2. Intifada und nach 9/11 nach Jerusalem zurück, um einen Dialog mit seiner Mutter Shulamith aufzunehmen, einer bekannten Politikerin und Friedensaktivistin. Sie erörtern kontrovers mögliche Optionen zwischen Ein- und Zweistaatenlösung. Der Film kreist explizit um die gefährliche politische Theologie von Jerusalem. Aloni spricht mit israelischen und palästinensischen Freunden über die vielfältigen Aufladungen des Ortes und deren Gebrauch in der israelischen Politik, von National-Religiösen bis Links-Zionisten. Er setzt dem die Texte von Autoren der deutsch-jüdischen Diaspora entgegen. Die Reise gipfelt in der Begegnung mit dem PLO-Chef Arafat, bei der Aloni um Verzeihung bittet. (Thomas Tode)

Samstag, 15.3.2025 / 18:00

Private Investigation (Khliqna w iliqna)
Ula Tabari, DE/FR 2002, 90 min

Geschichte einer Entfremdung: auf der Suche nach der unmöglichen Identität der "palästinensischen Israelis" bzw. der "israelischen Araber". Der Film geht aus von einem Foto der Filmemacherin aus ihrer Kindheit, als sie am Unabhängigkeitstag die israelische Nationalhymne singt. Die in Nazareth geborene, heute in Paris lebende Ula Tabari unternimmt eine Recherche nach einer staatlichen Politik, die einer Minderheit eine Identität unterschiebt, die nicht ihre eigene ist. Sie spricht mit ihrer Mutter über die Auswirkungen der Kriege auf die Familie und über die Erinnerungen an die "Nakba" (arab.: Katastrophe). Sie fragt auch, wie palästinensische Geschichte in israelischen Schulen vorkommt. Der Film ist Tabaris persönliche "Unabhängigkeitserklärung". (Thomas Tode)

Samstag, 15.3.2025 / 20:30

There Was Nothing Here Before (Avant il n’y avait rien)
Yvann Yagchi, CH 2024, 71 min

Auf dem neutralen Boden der Schweiz verbringen Regisseur Yvann Yagchi, Sohn palästinensischer Migrant*innen, und sein jüdischer bester Freund eine sorglose Kindheit fernab der Politik. Als Erwachsene sehnen sich beide nach religiöser und ethnischer Zugehörigkeit. Yvann will endlich Palästina besuchen und die über Generationen anhaltende Stille über das Schicksal seiner Familie brechen. Sein Freund zieht in eine jüdische Siedlung in der Westbank. So beginnt die Geschichte eines gescheiterten Wiedersehens. Aus dem Nachsinnen über die verlorene Freundschaft wird eine Suche nach Identität, unendlich erschwert durch die andauernde Zerstörung palästinensischer Existenz. (Daria Janke, DOK Leipzig)

Eine Kooperation zwischen dem österreichischen Filmmuseum und sixpackfilm

Österreichisches Filmmuseum
Augustinerstraße 11010 Wien

Kartenreservierungen: 533 70 54 oder online: filmmuseum.at